Muslime - Leserbrief

Leserbrief von Prof. Werner Kramer, Ehrenpräsident der GMS, im Tages-Anzeiger vom 18. März 2010

Es ist Zeit für Grabfelder für Muslime

Seit 1874 ist das Führen der Friedhöfe Aufgabe der politischen Gemeinden. Damals ging es im Gefolge des Sonderbundskrieges zwischen katholischen und reformierten Ständen in der Schweiz um die Integration der beiden Konfessionen in die Gesellschaft der jungen Eidgenossenschaft. Darum die Bestattung von Katholiken und Reformierten nicht mehr auf getrennten kirchlichen Friedhöfen.

Heute geht es darum, dass die muslimischen Bürger und Einwohnerinnen ebenso Platz finden auf den kommunalen Friedhöfen, wo sie nach den Riten ihrer Religion und gemäss den Grundregeln des einheimischen Friedhofwesens bestattet werden können. Die Vereinbarungen in den grossen Städten zeigen, dass dies ohne Probleme möglich ist. Lösungen braucht es jetzt in grösseren Ortschaften mit einer grossen Zahl von muslimischen Einwohnern, die hier leben, arbeiten und Steuern zahlen und von denen ein Teil Schweizerbürger sind. Im Kanton Zürich gibt es sieben Gemeinden mit 1200 bis 2700 muslimischen Einwohnern. Dass es hier zu den Aufgaben der Behörden gehört, Grabfelder für Muslime zu schaffen, liegt auf der Hand.

Seit vier Jahren setzt sich die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz GMS als Fürsprecherin dieses Anliegens bei Gemeindebehörden ein. Ich habe selber die Besprechungen geführt. Die Erfahrungen: Die Verantwortlichen der angesprochenen Gemeinden reagieren mit Verständnis, scheuen aber vor dem zu erwartenden parteipolitischen Hickhack zurück. Das verlängert die Wege. Wo die Realisierung in Kooperation mit Vertretern der Muslime an die Hand genommen wurden, sind die Erfahrungen auf beiden Seiten positiv: Behördenvertreter erleben die Muslime als verständig, kooperativ, Muslime fühlen sich – oft zum ersten Mal – von offizieller Seite wirklich ernst genommen, akzeptiert als Teil unserer Gesellschaft.

Die Rahmenbedingungen der Lösung: Die Muslime akzeptieren die bei uns übliche Erdbestattung im Sarg (nur soll es der einfachste Sarg ohne jede Auskleidung sein) und sie akzeptieren die Regel, dass im Laufe der Jahre übereinander drei Gräber errichtet werden (nur sollen die Überreste aus den unteren Gräbern nicht entfernt werden). Was als Besonderheit bleibt, ist die Ausrichtung der Gräber nach Osten und das Anliegen, dass das Grabfeld mit einem Lebhag oder einer niedrigen Umfriedung umgeben ist. Erwünscht ist, dass im Friedhofgebäude ein Raum für die rituelle Waschung der Verstorbenen zur Verfügung steht. Diesen Anliegen zu entsprechen, halte ich für problemlos.

Regelmässig taucht der Vorschlag auf: Die Juden haben ihre Privatfriedhöfe, für die sie selber aufkommen. Das sollen die Muslime doch auch tun. Die Jüdischen Friedhöfe entstanden Ende 19. Jahrhundert, wo es politisch vorrangig war, durch die staatliche Friedhofregelung die Gegensätze zwischen Katholiken und Reformierten zu überwinden. Da wollte man sich nicht mit der Verschiedenheit der jüdischen Bestattung befassen. Die Bewilligung von privaten Friedhöfen war ein langer, dornenvoller Weg: In Basel dauerte er 25 Jahre, in Bern 70. Damals war es noch möglich, in den Städten Land für den Jüdischen Friedhof zu kaufen. Muslime versuchten dies in Zürich vor einigen Jahren auch. Das Projekt scheiterte: Kein Land, politischer Widerstand, viel zu hohe Kosten. So kam es zu den Grabfeldern für Muslime auf dem Friedhof Zürich-Witikon.

Darum: Es ist Zeit für Grabfelder für Muslime.

Werner Kramer. Zürich

Ehrenpräsident GMS Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz

Leserbrief Prof Kramer (TagesAnzeiger 18.03.2010)